Das fetale Alkoholsyndrom / Alkoholembryopathie (FAS/ AE)

bei Erwachsenen
 

Alkohol während der Schwangerschaft ist bekanntlich nicht gesund. Der Fötus nimmt den Alkohol auf, kann ihn aber noch nicht richtig abbauen. Dadurch entstehen irreparable Schäden im Gehirn. Dieses Kind wird Zeit seines Lebens Probleme haben, je nach Schweregrad der Schädigung. Diese Probleme werden also auch im Erwachsenenalter nicht komplett verschwinden. Zwar können bei leichten Formen dieser Krankheit äußere Krankheitsmerkmale wie schmales Lippenrot, hängende Lider usw. verwachsen, doch die geistigen Schädigungen bleiben. Im schlimmsten Falle braucht dieser Mensch 24 Stunden am Tag Betreuung, meistens von mehreren Betreuern gleichzeitig. Doch möchte ich hier über die „leichteren Fälle“ sprechen.

Viele Menschen mit der Symptomatik FAS/AE sind nach außen hin eigentlich ganz normal. Sie gehen zur Schule, haben Freunde, sind oft auch in verschiedenen Bereichen sehr intelligent. Und doch fällt auf, daß sie oft unkonzentriert, trotz fortgeschrittenem Alter noch lange verspielt sind, nicht lange still sitzen können oder Probleme bei den Hausaufgaben haben. Manchmal sind sie auch aggressiv. Einige haben Essstörungen, Probleme im sozialen Umfeld, sie sind zu vertrauensselig oder sind meistens mit jüngeren zusammen.

Das sind alles kleine Probleme, bei denen die meisten Eltern sagen, das gäbe sich irgendwann. Dies ist leider bei den meisten Kindern nicht der Fall. Spätestens mit Ende der Schulzeit beginnen die großen Probleme. Eine normale Ausbildung in der regulären Zeit von 3 Jahren zu absolvieren fällt den meisten schwer. Durch ein schwächeres Immunsystem sind sie oft krank, fallen also aus, sind überfordert, können sich nicht lange konzentrieren, machen Fehler. Dann kommt es zu Konflikten mit dem Ausbilder. Prüfungen werden nicht bestanden, müssen wiederholt werden oder sie „schmeißen den Mist einfach hin“, weil alles „Mist“ ist. Wenn sie doch eine Ausbildung erfolgreich abschließen, geht es trotzdem im weiteren beruflichen Werdelauf so weiter. Ein ewiger Teufelskreislauf. Der Betroffene findet, wenn er Glück hat, einen Arbeitsplatz, doch verliert ihn schnell wieder, weil er überfordert ist und der Arbeitgeber das Spiel nicht mitmacht.

Und so geht der Teufelskreislauf immer weiter. Job finden, Job verlieren, Job finden, Job verlieren. Oftmals lassen sich nur Arbeitsplätze in einem Zeitarbeitsunternehmen finden. Aber was ist das für ein Job? Überall ist man fremd, darf den Müll machen, den die Angestellten der Firmen nicht machen wollen und hat keinen festen Arbeitsplatz, da in den meisten Fällen nur Aushilfen für einige Tage oder Wochen gebraucht werden. Die Bezahlung ist schlecht und auch so fühlt man sich nicht sehr wohl. Durch Schichtarbeit und ewigen Arbeitsortwechsel wird man schnell mürbe. Irgendwann kommt es auch hier zur Entlassung. Der berufliche Lebenslauf wird immer länger und die Nerven des Betroffenen immer schwächer. Ohne fachmännische Hilfe gibt es da kein Entrinnen. Aber die ist leider rar. Zwar gibt es Hilfe z.B. durch Ärzte des SPZ (Sozialpädriatisches Zentrum) der Uniklinik Münster, doch leider gibt es noch nicht genug Fachärzte auf dem Gebiet und die, die es gibt, sind überlastet. Oft muß man monatelang auf einen Termin warten und dann weit reisen. Der normale Hausarzt oder Psychotherapeut kann leider nicht gut helfen, da er auf dem Gebiet einfach „keine Ahnung“ hat.

Ich möchte anhand meiner Geschichte einmal kurz aufzeigen, welche Probleme und Möglichkeiten man als Erwachsener mit FAS /AE heutzutage zu hat.

Geschichte eines FAS/AE betroffenen Erwachsenen

Also, ich wurde 1974 von einer Frau geboren, die vor und während der Schwangerschaft sehr viel Alkohol getrunken hat. Als ich zur Welt kam, wog ich 2200 g, war 43 cm klein, hatte einen Kopfumfang von 31 cm, hatte eine Untertemperatur von 33 Grad und habe nicht spontan getrunken, sondern mußte einige Wochen über eine Dauersonde künstlich ernährt werden und in einem Wärmebettchen liegen. In meinen ersten Jahren war ich klein und zierlich, habe wenig gegessen oder es oft wieder ausgespuckt. Ob später im Kindergarten oder in der Schule, überall war ich die kleinste, der Außenseiter und wurde gehänselt. Es war schlimm. Freunde hatte ich immer sehr wenig, da ich sehr schüchtern war. Als ich 6 Jahre alt war, starb meine Mutter und ich wuchs bis ich 16 Jahre war, bei meinen Großeltern auf. Die Lehrer in der Schule meinten, ich sei für mein Alter zu klein und noch zu verspielt, weshalb ich ab der 5. Klasse auf die Gesamtschule kam. Lernen fiel mir immer schwer. Ich kam nur schlecht mit, lernte langsamer als die anderen, doch was ich tat, tat ich ordentlich. Wie oft saß ich stundenlang über meinen Hausaufgaben, während meine jüngeren Freunde draußen spielten. Ich konnte mich nie richtig konzentrieren, zappelte auf dem Stuhl rum und verlor mich in Tagträumen. Oft gab es dann Ärger und die Tränen flossen. Meine Großeltern waren überfordert. Mein Vater war selbst Alkoholiker und kümmerte sich wenig um mich. In den Sommerferien fuhren wir nach Italien. Dort lebte ich in meiner eigenen kleinen, glücklichen Welt. In der Schule hatte ich mittelmäßig bis schlechte Noten. Ich schloß die Gesamtschule mit dem Hauptschulabschluß nach der 10. Klasse ab. Dann begann der Teufelskreislauf. Ich machte eine Ausbildung zur Bürokauffrau, bestand aber nicht die Prüfung, hatte Versagensangst, wiederholte nicht, sondern schmiß hin. Dann bekam ich einen Ausbildungsplatz als Köchin, brach nach 6 Monaten ab, weil ich meine Freunde durch die Arbeit verlor und mich bei den Kollegen nicht durchsetzen konnte. Dann starb mein Vater am Alkohol. Ich arbeitete in der Zeitarbeit, kündigte nach einigen Monaten, weil es zu viele Wechselschichten waren und ich keinen Rhythmus fand, begann eine Ausbildung zur Floristin, wurde gemobbt, weil ich nicht so lernen konnte, wie ich sollte und wollte, hatte Suizidgedanken, wurde aggressiv mit Mordgedanken meiner Chefin gegenüber, kam in eine Tagesklinik, verlor den Ausbildungsplatz.

Dann bekam ich über das Arbeitsamt die Möglichkeit, eine Ausbildung zur Bürokauffrau mit pädagogischer Betreuung zu machen. Durch diese Betreuung schaffte ich nach 3 ½ Jahren im 1. Anlauf meine Prüfung, wenn auch nicht mit Supernoten. Danach bekam eine Weiterbildung zur Sekretärin, war mit dem Material überfordert, arbeitete ich wieder in einer Zeitarbeitsfirma, wurde in einer Firma übernommen, verlor den Job wieder, weil meine Leistungen nicht den Anforderungen entsprachen und ich nicht verantwortungsbewusst genug war und ich zu langsam lernte und nicht selbständig arbeiten konnte, fand einen neuen Job, verlor den aber auch wieder aus den gleichen Gründen und weil ich erneut Suizidgedanken hatte und krank wurde. Krankheit wurde aber in dieser Firma mißbilligt. Ich war lange arbeitslos. 2002 kam dann die Wende. Bei Stern-TV sah ich einen Beitrag zum Thema FAS. Was diese Frau dort über ihre Krankheitsmerkmale erzählte, kam mir ja so bekannt vor. Es war, als ob ich dort säße. Ich meldete mich bei Stern-TV und man verwies mich an eine Ann Gibson, die Spezialistin auf dem Gebiet war. Sie sagte, ich solle in die Uniklinik Münster und mich untersuchen lassen. Das tat ich und man stellte fest, daß ich die Syptomatik der Alkoholembryopathie (FAS/AE) Grad 1 hätte. Eine feste Diagnose konnte allerdings nicht gestellt werden, da es sich um eine Untersuchungsmethode für Kinder handelte. Ich war aber kein Kind mehr. Aber trotzdem schnitt ich bei diesen Tests unterdurchschnittlich ab. Der Arzt meinte, ich hätte diese Krankheit. Mit diesen Ergebnissen ging ich zum Arzt, stellte einen Rehaantrag und bekam eine Kur genehmigt, wo ich für den Arbeitsmarkt gefestigt werden sollte. Allerdings wollte man dort nicht auf FAS/AE eingehen, mit der Begründung, es handele sich um eine Modekrankheit, ich wär doch ganz gesund, solle mich nicht damit befassen. Nach der Kur fand einen Job im Kiosk eines Freizeitrestaurants. Inzwischen hatte ich so starke psychische Probleme, daß ich Panikattacken bekam, mein Körper ausgelaugt war und ich nach 1 ½ Jahren mit einem Nerven-/Kreislaufzusammenbruch in eine Klinik für Patienten mit Depressionen und Angststörungen eingewiesen wurde. Dort wurde ich 3 Monate behandelt. Die Ärzte dort befaßten sich etwas mit den Unterlagen der Uniklinik Münster und gaben mir den Tip, einen Behindertenausweis zu beantragen und Stellen auf dem 2. Arbeitsmarkt zu suchen. Das tat ich. Leider ist FAS hierzulande noch nicht offiziell als Behinderung angesehen, weshalb ich nur 40% auf Depressionen und Konzentrations-/Angststörungen bekam. Ich stellte einen Antrag auf Gleichstellung einer Behinderung beim Arbeitsamt, welcher abgelehnt wurde, da ich keinen Arbeitsplatz hätte, der gesichert werden müsse und auch angeblich keine Probleme hätte, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Dies war „Müll“, denn ich hatte meine Jobs aufgrund meiner Krankheit verloren und fand ja keinen neuen. Ich ging wieder nach Münster zum Arzt. Der sagte mir, ich sei aufgrund meiner Probleme nicht für den 1. Arbeitsmarkt geeignet, bräuchte einen Arbeitgeber, der mir hilft, halt einen Arbeitsplatz mit Betreuung und legte mir eine Einrichtung für Patienten wie mir ans Herz, die rund um die Uhr betreut werden, aber eigene Wohnungen haben und in einer Art Behindertenwerkstatt arbeiten könnten. Das Stift Tilbeck. Aber ganz so wollte ich es doch nicht. Ich stelle wieder einen Rehaantrag bei der deutschen Rentenversicherung. Ab Mai diesen Jahres bekomme ich eine Wiedereingliederungsmaßnahme, in der langsam die Arbeitsbelastung gesteigert wird, es gibt Trainig in EDV, Training sozialer Kompetenzen, Bewerbungstrainings, Training im Umgang mit Vorgesetzten. Durch spätere Praktika in verschiedenen Unternehmen kann ich Glück haben, daß ich auf diesem Weg einen Arbeitsplatz finde, der meinen Anforderungen gerecht wird, wo es einen Arbeitsgeber gibt, der mit mir zusammen arbeitet. Wir werden sehen.

Dies habe ich erzählt, um Ihnen einen kleinen Einblick zu geben, wie das Leben eines Menschen mit FAS/AE aussehen kann. Sie sehen, es ist voller Schlaglöcher.

Sollten Sie Menschen in Ihrer Umgebung haben, bei denen Sie der Meinung sind, die könnten FAS/AE haben, scheuen Sie sich nicht, sich an uns zu wenden. Ich bin sicher, zusammen werden wir eine Lösung finden.

Ihre D. S